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Wieviel ist gute NUB-Arbeit wert? Und wieviel verdienen die NUBler*innen?

By 14. Juni 2019Januar 23rd, 2024No Comments8 min read

Wieviel ist gute NUB-Arbeit wert? Und wieviel verdienen die NUBler*innen?

 

Über 70% der Antwortenden einer Umfrage «Arbeitssituation im naturbezogenen Umweltbildungsbereich (2018)» des Verbandes ERBINAT und der Stiftung SILVIVA sind Frauen. Der Frauenstreiktag 2019 ist eine gute Gelegenheit, die Ergebnisse zu publizieren, ein paar Thesen zu Lohn, Zeit und Respekt aufzustellen… und zu fragen: wie soll es weitergehen?

Immer wieder bekamen in den letzten Monaten ERBINAT und SILVIVA Anfragen zu angemessen Tarifen für NUB-Angebote. Wir haben leider keine Vergleichszahlen und konnten so nicht befriedigend Auskunft geben. Ebenso wenig wissen wir, wie hoch Entschädigungen und Löhne für NUB Angestellte und NUB Angebote sind. Darum haben wir diese Umfrage lanciert.

Einfache und klare Aussagen zu gerechten Tarifen lassen sich aus den Ergebnissen nicht direkt ablesen. Die Umfrage produzierte aber gute Grundlagen zur weiterführenden Arbeit im Rahmen von ERBINAT Arbeitsgruppen.

Im Folgenden werde ich ein paar Ergebnisse aus der Umfrage herauspicken, kommentieren und Thesen dazu formulieren. Ich freue mich auf eure Rückmeldungen und eine weiterführende Diskussion dazu.

Zuerst einige erfreuliche Folgerungen aus der Umfrage:

NUB ist Beruf und Berufung

Was die antwortenden Fachpersonen leisten ist ein Beruf[1]. Fast 70% der Antwortenden finden, dass die NUB ein eigenständiger Berufsbereich ist (S. 18). Und zugleich ist ihre Arbeit auch Berufung. Über 90% sagen, sie üben ihre Tätigkeit gerne (21%) oder sehr gerne (71%) aus, ausserdem empfinden sie ihre Arbeit als sinnvoll (27% sinnvoll, 69% sehr sinnvoll) (S. 17 und 18).

Exzellent aus- und weitergebildet – und mit viel Erfahrung

Weit über 70% der Befragten haben eine höhere Berufsbildung oder ein Studium abgeschlossen (S. 5). Die allermeisten entweder im pädagogischen- oder Natur(wissenschaftlichen)bereich, viele sogar in beidem (S. 6). Die Befragten haben im Schnitt 2,6 Weiterbildungen absolviert (dies grossmehrheitlich auch im pädagogischen- oder Natur(wissenschaftlichen) oder NUB-Bereich) (S. 7). Dazu kommt, dass die Befragten über viel Erfahrung verfügen, im Schnitt über 7,7 Jahre Erfahrung im NUB-Bereich und 10,3 Jahre Berufserfahrung allgemein. Die Branche ist also hochqualifiziert (S. 10).

Weiterbildung wird in der Umweltbildung grossgeschrieben

Über 76% geben an, dass ihr Arbeitgeber Weiterbildungen unterstützt (ganz: 55%, teilweise 21%) (S. 15). Eine schöne zusätzliche Leistung der Arbeitgeber, die im Bildungsbereich aber selbstverständlich und eigentlich auch viel weiter verbreitet sein sollte.

Aber all diese guten individuellen Voraussetzungen schlagen sich weder in den Löhnen noch in den Arbeitsbedingungen nieder.

Tiefe bis sehr tiefe Löhne

Die grösste Gruppe der Befragten (23.3%) gibt an, dass ihr monatliches Bruttoeinkommen unter 3’000.- CHF liegt (hochgerechnet auf 100%). Zum Vergleich: Die einzigen gesetzlich festgelegten Mindestlöhne in der Schweiz (in den Kantonen Neuenburg und Jura) liegen bei 20.- CHF pro Stunde, das entspricht nicht ganz 3’500.- CHF pro Monat (Quelle: https://www.unia.ch/de/arbeitswelt/von-a-z/mindestlohn). Damit verglichen geben über 1/4 der Befragten an, weniger als den Mindestlohn zu verdienen. Rechnet man die 16.4% ohne festen monatlichen Bruttolohn dazu (übrigens die zweitgrösste Gruppe der Befragten), erreichen über 43% nicht einmal den Mindestlohn.

Insgesamt gaben 53.1% der Befragten an, dass ihr monatlicher Lohn unter 6’000.- CHF liegt. Somit dürften fast 60% der Befragten weniger verdienen als der schweizerische monatliche Bruttolohn (Median) der Lohnstrukturerhebung 2016 des BFS, welcher 6’505.- CHF entspricht. (Quelle: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/arbeit-erwerb/loehne-erwerbseinkommen-arbeitskosten.html)

Magere bis schlechte Bedingungen

50% der Befragten erhalten keinen 13. Monatslohn, über die Hälfte (55%) arbeiten mit vorübergehender Sonntagsarbeit (70% davon ohne höhere Entschädigung als gesetzlich vorgeschrieben), fast 40% der Befragten erhalten keinen entschädigte Vor- bzw. Nachbereitungszeit. Alle diese Angaben gilt es zu bedenken, wenn man die ohnehin schon tiefen Löhne einordnet.

Dazu kommt, dass viele der Befragten in relativ kleinen Pensen arbeiten (über 1/4 der Befragten arbeitet 20% oder weniger, fast 60% arbeiten 60% oder weniger).

Das sind schlechte, zum Teil prekäre Bedingungen. In einer Branche, die alle doch soo wichtig und soo gut finden. Warum wird für die NUB-Arbeit nicht mehr bezahlt?

Ein paar Thesen:

  • Die Arbeit im NUB-Bereich ist zu einem grossen Teil Care-Arbeit, diese wird generell zu schlecht entschädigt. NUB Angebote sind häufig (auch) Betreuungsangebote diese zählen zur Care-Arbeit https://de.wikipedia.org/wiki/Care-Arbeit. Probleme im Care-Bereich hat der vpod hier aufgelistet https://vpod.ch/themen/care-arbeit/. Auch Bildung teilt viele typische Aspekte der Care-Arbeit, ebenso Naturschutz. Damit wären wohl alle typischen Angebotsfelder der NUB abgedeckt.
  • NUBler*innen sind wenig organisiert, und wir verlangen zu wenig. Nicht einmal ein Drittel der Befragten sind Mitglied bei ERBINAT, dem Berufsverband der NUBler*innen. Eine NUB-Gewerkschaft im engeren Sinne gibt es nicht. Viele Organisationen im NUB Bereich sind NGOs, in diesem Bereich ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad sehr unterdurchschnittlich. https://ngo.vpod.ch/
  • Wir sind Überzeugungstäter*innen und verkaufen uns daher zu billig. Uns ist die Sache wichtiger als der Lohn. Lieber führen wir ein Angebot unterbezahlt durch, weil wir es sinnvoll und wichtig finden, als dass wir es nicht machen würden. Auch gibt es im Bereich die unterschiedlichsten Formen von Anbietern. Z.B. können Naturschutzorganisationen ihre NUB Angebote sehr günstig, z.T. sogar gratis anbieten, weil sie damit ihre Ziele erreichen. Das gibt wieder Druck auf die Preise der Angebote anderer Partner im NUB Bereich.
  • Viele NUB Angebote sind im Non-formalen Bildungsbereich angesiedelt, Non-formale Bildung wird schlechter bezahlt als formale Bildung. Sowohl Angebote wie auch Abschlüsse der Non-formalen Bildung werden weniger gut anerkannt (und bezahlt) als diejenigen der formalen Bildung. Sie ist freiwillig und viele Angebote werden auch von Freiwilligen, (fast) gratis, angeboten. Hier schliesst sich der Kreis zur obigen Thesen, und auch die Parallelen zur Care-Thematik sind offensichtlich.
  • Es ist nicht so schlimm, dass wir nicht so viel verdienen, wir sind Vorreiter*innen in Sachen Nachhaltigkeit. Eine provokative These aus Sicht eines Mehrfachprivilegierten… Aber wenn man es von der Individuellen- auf die Systemebene hebt und umgekehrt formuliert, könnte es sich lohnen, darüber nachzudenken: vielleicht verdienen wir im NUB-Bereich nicht alle zu wenig, sondern die andern zu viel. «Je höher das Einkommen, desto höher der Umweltverbrauch» https://www.spiegel.de/wirtschaft/klimawandel-das-koennen-sie-persoenlich-dagegen-tun-a-1240539.html

Aber abgesehen von den eher philosophischen Überlegungen eines Privilegierten, was tun wir – die NUB-Szene – mit den Ergebnissen dieser Umfrage?

Ich schlage einmal folgendes vor:

  • Weiter diskutieren: was sind eure Analysen der Zahlen, was sind eure Thesen und Vorschläge? Gebt ein Feedback zur Umfrage und zum Artikel. Am besten unten in den Kommentaren, so dass es in der Szene gesehen und weiter diskutiert werden kann.
  • Transparenter werden: ERBINAT hat sich an der GV 2019 zum Ziel gesetzt, für die drei Bereiche NUB, Kind und Natur und Erlebnispädagogik Grundlagen für faire Tarife (und ev. Lohnempfehlungen) zu erarbeiten. Das gibt Transparenz und kann den Anbietenden in der Szene Sicherheit geben. SILVIVA arbeitet mindestens im Bereich NUB tatkräftig (und ehrenamtlich) mit.
    Mehr Daten sammeln: für die Tarifempfehlungen sind wir auf eure Mithilfe angewiesen. Wieviel verlangt ihr für eure Angebote? Gebt doch offen Auskunft, wenn die Arbeitsgruppen von ERBINAT auf euch zukommen sollten. Falls ihr aktiv mitarbeiten wollt, meldet euch gerne bei Mara Figini (Geschäftsstelle ERBINAT).
  • Sich besser organisieren. Eine Mitgliedschaft bei ERBINAT wäre mal ein Anfang, ein Mitmachen in einer Regionalgruppe oder einer Fachgruppe wäre ein wirksamer weiterer Schritt. Überlegt euch doch auch den Beitritt zu einer passenden Gewerkschaft. Die Solidarität hilft nämlich genau in den obengenannten Problembereichen und die Mitgliedschaft kann bei individuellen Problemen unglaublich helfen.
    Wer es niederschwelliger will, kann ja auch einfach den Newsletter von SILVIVA abonnieren, oder den des Feuervogels… Oder: Tagungen sind ein wunderbarer Ort, sich auszutauschen und zu vernetzen: z.B. die SILVIVA Efa Tagung oder das St. Galler Fachforum für Waldkinderpädagogik.
    Ein eher fachliches Vernetzungsgremium: die Fachkonferenz Umweltbildung, oder speziell für Spielgruppenlehrpersonen: die IG Spielgruppe. Weitere Möglichkeiten zur Branchenorganisation gerne in die Kommentare schreiben.
  • Politisch aktiv werden: Ein Thema für einen eigenen Blogbeitrag… Hier ein paar verwandte Links, die mir zum Thema untergekommen sind:
    http://www.bildungskoalition.ch/de/news/
    https://trotzphase.ch/campa/trotzphase/ (und aktuell für den Kanton Zürich: https://weil-kinder-mehr-zeit-brauchen.ch/campa/weil-kinder-mehr-zeit-brauchen/)
    https://www.lohnrechner.ch/#calculator
    Theoretische Grundlagen: http://www.denknetz.ch/bildungspolitik/, http://www.denknetz.ch/care-und-care-gesellschaft/
  • Streiken: womit wir wieder am Anfang des Beitrags wären. Ich hoffe, wir können den Schwung des Frauen*streiks auch für die NUB-Branche mitnehmen.
    Für Lohn, Zeit, Respekt. https://www.14juni.ch/

Danke für eure Aufmerksamkeit, ich bin gespannt auf konstruktiven Beiträge und eure Antworten, wie es mit der NUB-Branche weitergehen soll.

 

Auswertung Umfrage Arbeitsbedinungen im NUB-Bereich

 

[1] «… aufgrund besonderer Eignung und Neigung systematisch erlernte, spezialisierte, meistens mit einem Qualifikationsnachweis versehene, dauerhaft und gegen Entgelt ausgeübte Betätigung eines Menschen» (Wikipedia)