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Naturpädagogisches Ritual „WalkAway“

In unserer westlichen, technisch und materiell ausgerichteten, von Internet und Medien dominierten Gesellschaft wird immer wieder über Probleme geklagt, die unsere Jugendlichen betreffen: „Koma-Saufen“, gefährliche Autofahrten, Orientierungslosigkeit und Schulabbruch, Gewaltexzesse bis hin zum Amoklauf oder Computer- und Drogensucht. Viele der davon betroffenen Eltern, aber auch viele Lehrer, Sozialpädagogen und Politiker stehen diesem Verhalten von Jugendlichen oft ohnmächtig und verständnislos gegenüber. Betrachtet man aber diese Phänomene unter dem Blickwinkel von „Initiation“, dann wird alles schlagartig klarer: Der Grund für diese Fehlentwicklungen liegt in dem Mangel an geeigneten „Übergangsritualen“. „Initiation“ bedeutet dabei „Einweihung“ oder „Einführung“ in einen neuen Lebensabschnitt, im vorliegenden Fall in den des Erwachsenseins.

Wenn unsere Jugendlichen von uns Erwachsenen keine geeigneten Initiationsrituale angeboten bekommen, suchen sie oft selbst nach teilweise gefährlichen Ersatzritualen. Oder sie bleiben lange orientierungs- und kraftlos, weil sie noch immer im Lebensabschnitt eines Jugendlichen festhängen. Andererseits wird jedoch in unserer Gesellschaft erwartet, dass die jungen Menschen bereits erwachsen sind und ihren Mann und ihre Frau stehen, sobald sie in den Arbeitsprozess eintreten.

Wer aber sagt ihnen, was „Erwachsensein“ eigentlich bedeutet, wie sie erwachsen werden können und wer hilft ihnen bei diesem so fundamentalen Lebensübergang? Im Buch „Initiation Erwachsen werden in einer unreifen Gesellschaft“ beschreibt der Autor Peter Maier das Übergangsritual, das „WalkAway“:

„Acht Jahre lang habe ich mit einem kleinen Team das viertägige naturpädagogische Ritual des „WalkAway“ durchgeführt. Übersetzen würde ich diesen Begriff mit „Gehe Deinen Weg zu dir selbst – in das Innere deines Herzens“. Der WalkAway ist ein sehr geeignetes Ritual zur Persönlichkeitsentwicklung hin zu mehr Selbständigkeit und Selbstverantwortung auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Bei dem Ritual, das ja in der Natur stattfindet, gibt es somit eine entscheidende Rückwirkung von der äußeren Umgebung/Natur auf die innere Natur der TeilnehmerInnen.

Der WalkAway hat wie jedes Ritual drei Phasen:

In Phase 1 werden die Jugendlichen zwei Tage lang durch Natur-Übungen intensiv auf den eigentlichen Kern des Rituals vorbereitet.

Am Morgen des dritten Tages beginnt dann die Phase 2, die sogenannte „Solozeit“. Nach einer kurzen persönlichen Abschiedszeremonie übertritt jeder Jugendliche eine Schwelle aus Ästen und Steinen und geht in den Wald. Für 24 Stunden, also für einen Tag und eine Nacht lang, gilt er nun komplett als unsichtbar und vermeidet jeden Kontakt zu anderen Menschen und zu den anderen Teilnehmern.

Mit dabei hat jeder Jugendliche nur einen kleinen Rucksack mit Wechselwäsche, ein Tagebuch, eine Regenplane, eine Matte, einen Schlafsack und fünf Liter Wasser. Er verzichtet jedoch auf jedes Essen, jeden Kontakt und gibt vorher sein Smartphone ab – ein fundamentaler Schritt in heutiger Zeit.

Am dritten Tage werden die Jugendlichen frühmorgens wieder aus dem Wald getrommelt, symbolisch wieder „sichtbar“ gemacht und von den Leitern begrüßt. Dies geschieht alles vor den Augen der bereits in der Nacht angereisten Eltern. Damit beginnt die Phase 3, die Rückkehr und Wiedereingliederung in die Gemeinschaft.

Im nahegelegenen Seminarzentrum erzählt anschließend jeder einzelne Teilnehmer des WalkAway von seinen Erlebnissen allein in der Natur. Etwa drei Stunden lang kann man eine Stecknadel fallen hören. Denn die Eltern müssen zuhören, was ihre Kinder erlebt haben. Anschließend geben die Leiter einen sogenannten „Spiegel“, also ein Feedback zu dem Prozess, der sich in jedem Jugendlichen bei diesem Ritual gerade ereignet. Anschließend werden auch die Eltern um eine Wertschätzung und Rückmeldung zu der Erzählung ihrer Kinder gebeten.

Man kann als Leiter förmlich spüren, wie bei den jugendlichen Teilnehmern – im Beisein ihrer Eltern und mit deren ausdrücklicher Zustimmung – ein großer Schritt hin zum Erwachsenwerden („Initiation“) geschieht. Denn die Mädchen und Jungen haben soeben Großes geleistet und viel Mut bewiesen – nachts ganz allein im Wald, vollkommen auf sich selbst gestellt. Sie haben soeben in einem wesentlichen Punkt ihr eigenen Lebens in die Hand genommen. Mit einem feierlichen Essen, das die Eltern von zu Hause mitgebracht haben, geht dieses Ritual zu Ende. Mir bleibt nur noch, meinen großen Respekt vor diesen Jugendlichen zu bekunden. 73 Mädchen und Jungen haben bisher an diesem Ritual teilgenommen.“

von Peter Maier (Gymnasiallehrer, Jugend-Initiations-Mentor und Autor)

 

Nähere Infos zum Autor Peter Maier und Buch-Bezug: www.initiation-erwachsenwerden.de